Biwakfliegen auf Norddeutsche Art,
oder: ein ganz besonderer „Muttertagsflug“
von Helmut Wilms

Freitagabend.
Länger Arbeiten und dann mit meinem Sohn Marius noch zu einem Fußballspiel. Eigentlich wollte ich Rasen mähen. Wir sind erst gegen 19.30 zurück. Abendessen und die Kinder ins Bett bringen. Schnell noch einen Blick in den Segelflugwetterbericht. Morgen gute bis sehr gute Thermik !! Meine Frau Dörthe muss dieses Pfingstwochenende nicht arbeiten und ich bekomme grünes Licht zum Fliegen; trotz des Muttertages übermorgen. Meine Mutter ist in dieser Hinsicht gut bei meiner Schwester an der Nordseeküste „versorgt“.

Samstagmorgen, (10.5.) erstmal den Sichtschutzzaun reparieren und noch Rasen mähen. Um 10 Uhr komme ich los und bin um kurz vor zwölf in Neustadt Glewe. Bei östlichen Winden wie heute erste Wahl. Der Himmel sieht bombastisch aus.
Wir sind nur zu fünft. 3 Drachen und 2 Gleitis. Der Windenfüher Horst Piezug ist von Fehmarn gekommen, um seinen Windenführerdienst zu leisten. Danke Horst.
1. Start von Andreas Nixdorf mit GS. Er kommt ebenso wie Frank Dettmer gleich wieder runter. Ich bemerke, dass ich meinen Trinksack zu Hause vergessen habe und die Kinder meine Müsliriegel weggefuttert haben. Frank hilft mit einem Hanuta aus.
Um 13:20 starte ich und klinke weit vor der Winde aus, da ich schon am Seil einen dicken Bart erwische. Ich komme gut hoch und beobachte was so an unserem Startplatz passiert.
Dann startet Frank und dreht auch gleich flott auf. Wir haben abgesprochen ein FAI Dreieck zu probieren. Aber ich entscheide mich, nicht gegen einen 22 km/h Wind anzufliegen, obwohl die Wolkenbasis heute weit über 2000 m liegt. Also ab Richtung Westen. Frank dreht irgendwann um und landet später wieder in Neustadt Glewe.
Vor der Elbe beim Gestüt Redefin komme ich tief und zentriere zerrissene Thermik. Es geht zwar ganz langsam wieder auf 800 m aber ich finde das stärkste Steigen nicht. Dann entdecke ich zwei Mauersegler. Nichts wie hin. Mit 4-5 m/s geht es dann bis zur Basis. Die Elbquerung ist kein Problem. Die Route ist mir von früheren Flügen bekannt und die Sicht heute grandios. Um 16:30 Uhr belohne ich mich an der Basis, die jetzt bei komfortablen 2400 liegt, mit einem Hanuta.
Es geht über Lüneburg und Salzhausen an Hörpel, unserem anderen Schleppgelände vorbei. Ich erkenne Windenschleppbetrieb, verwerfe eine Landung dort aber sehr schnell. Die Bedingungen heute sind einfach traumhaft. Über der Heide kommt mir der Gedanke die Bremer Drachen. – und Gleitschirmflieger in Hellingst zu besuchen. Kurs südlich an Tostedt vorbei, über Sittensen und Zeven nach Hellingst. Hoffentlich finde ich Hellingst. Ich habe mir Hellingst bis jetzt nur einmal mit Google Earth angesehen.
Große Freude kommt auf, als ich Hellingst entdecke und weiß dass die Höhe dicke reicht. Als ich aber Drachen. – und Gleitschirmschleppbetrieb entdecke juble ich innerlich. Es ist 18:00 Uhr und die Thermik brummt immer noch. Also die Höhe nicht einfach so vernichten, sondern in Strecke umsetzen. Über dem Platz die Position kurz mit “ Mark; Enter “ im GPS speichern und für den Endanflugrechner als Zielflug eingeben. Es geht ca. 10 km über den Platz hinaus. Mmmhhh, ich könnte heute vielleicht den Vereinsrekord von Christoph Trömer zurückholen, würde dann aber allein in der Pampa stehen. Als der Endanflugrechner noch 400 m anzeigt drehe ich um. 18:40 und immer noch Thermik. Nachdem ich noch ein paar Schlepps beobachtet habe, lande ich butterweich vor den Hallen und stoße einen Jubelschrei aus. Hier wollte ich schon immer mal hin, da ich viele Bremer Drachenflieger schon ewig kenne. Und das mir das auch noch standesgemäß aus der Luft mit einem 200 er gelingt, um so besser.
Meine Ankunft löst Irritationen aus. Wo kommt der den her? Den haben wir doch gar nicht hochgezogen! Ich bekomme ein Landebier und werde spontan zum Geburtstagsessen eines Segelfliegers eingeladen.
Eine 6-7 Std. dauernde Rückholaktion durch Frank Dettmer ( Norddeutscher Regionalbeirat ) und Detlev sage ich gegen 20 Uhr ab. Trotzdem ein Dankeschön für eure Bereitschaft! Ich nehme Herbert sein Angebot und seinen Schlafsack an und übernachte in Hellingst, um am nächsten Tag weiter zu fliegen. Mir ist die Idee gekommen meine Mutter zum Muttertag aus der Luft zu überraschen. Sie ist bei meiner Schwester in Horumersiel an der Nordseeküste eingeladen. Die Wind und Thermikbedingungen müssten eigentlich passen. Den Abend verbringen wir am Lagerfeuer mit Freibier von 2 Geburtstagskindern.
Nach einem wunderbaren Frühstück mit den anderen Piloten bedanke ich mich mit dem saubermachen der Dusche etc. für die außergewöhnliche Gastfreundschaft in Hellingst. Ich werde mit frischen Batterien für das GPS versorgt und habe den 1. Start frei. Da heute auch noch Flugplatzfest in Hellingst ist, gönne ich mir vor dem Start noch ein schönes Stück Mohnstreusel.
Um 13:10 geht es auf meine 2. Etappe. Nach kurzem Suchen geht es rauf zur Basis, die auf 2100m liegt. Über Flugfunk bedanke ich mich noch einmal für alles und verabschiede mich. Weser und Jadebusen sind schon wunderbar zu sehen. Ohne irgendwelche Probleme (immer hoch) geht es über meine alte Heimatstadt Wilhelmshaven. Thermikkurbeln mitten über dem Jadebusen war dabei ein besonderes Erlebnis. Ich kann mich gar nicht satt sehen! Dort, wo ich als Junge zur Grundschule ging und einen Großteil meiner Kindheit verbracht habe. Tausend Erinnerungen kommen in mir hoch. Da ich immer noch keinen Fotoapparat mit habe (sehr schade!) fummle ich das Diensthandy aus dem Gurtzeug und mache mit zittrigen Fingern wenigstens 2-3 Fotos von Wilhelmshaven. Natürlich führt mein Kurs über das Haus in dem wir damals gelebt haben.
Dann muss ich eine Entscheidung treffen. Ist meine Mutter noch in Horumersiel bei meiner “ kleinen“ Schwester oder in Jever bei der „Großen“. Ich entscheide mich für Horumersiel, da das Haus meiner Schwester verkauft werden soll und mich dann nichts mehr nach Horumersiel zieht. Die große Strecke, die noch für mich drin ist, reizt mich heute nicht.
Finalglide nach Horumersiel ! Auch jetzt riesige Freude als ich weiß, ich schaffe es.
Als ich aber das Auto meiner Eltern vor der Tür sehe, ist meine Freude unbeschreiblich. Ich schreie aus 800 m so laut ich kann um auf mich aufmerksam zu machen. Aber es rührt sich nichts. Ich hatte mein kommen für 15:30 angekündigt und jetzt ist es erst 14:50. Mann, war ich schnell.
Nach einer Flugverlängerung bis Schilling genieße ich die einmalige Aussicht. Seewind bedeutet gut Landebedingungen aber eben auch keine Thermik mehr. Mit 400 m geht es über das Haus meiner Schwester. Durch ein Motorgeräusch von einem Motorflieger ging ihr Blick in den Himmel und sie erblickte Ihren Bruder mit dem Drachen. Alle kamen unter dem Sonnenschirm hervor und winkten was das Zeug hielt. Auch ich winke und schreie:
“ Herzlichen Glückwunsch zum Muttertag “ nach unten und kann die Glückstränen nicht mehr halten. Verdammt, ich muss gleich landen und muss meine Augen unbedingt wieder trocken kriegen. Auch jetzt wieder eine butterweiche Landung. In Horumersiel verursacht meine Landung einen Stau bis in den Ort hinein.
Ich bin mit Zwischenstop ca. 300 km mit dem Drachen am Muttertag zu meiner Mutter geflogen. Wahnsinn !!!!
Ich verbringe einen sehr schönen Abend mit der Familie, die mich auf der Rückfahrt nach Berlin am nächsten Tag mit zu mir nach Hause nimmt. Leider können wir keinen Dachgepäckträger auftreiben und ich muss meinen geliebten Ghostbuster liegen lassen und später abholen. Dafür wird mir aber mein Auto von Neustadt Glewe von unserem 1. Vorsitzendem Axel Eckard mit nach Hamburg gebracht. Nach einem Telefonat mit Frank erfahre ich, das es an so einem „Tag der Tage“ in Neustadt Glewe keiner von der Winde heraus in die Thermik geschafft hat. Schade! Ich hätte es euch von Herzen gegönnt. Dass ich dann am 3. Supertag in Folge im Auto sitze, stört mich nach diesen erlebnisreichen Flügen nicht im Geringsten.

Always happy landings
Helmut Wilms