Auf Strecke mit dem Gleitschirm
von P. Henningsen

Um einmal zu erleben, wie ein Profi eine Strecke plant und fliegt, hatte ich in 2006 einen Tandem-Streckenflug bei Oliver Rössel gebucht. Oliver ist als mehrfacher Deutscher Meister und Word Cup Gewinner sicher einer der erfolgreichsten Piloten Deutschlands.
Der Donnerstag, 08.06.2006 war dann der schwachwindigste Tag der Woche, und ich hatte mich mit Oliver verabredet. Es lag noch soviel Schnee, dass ein Start am Nebelhorn/Oberstdorf nicht möglich war. Wir sind dann ans Neunerköpfle im Tannheimer Tal gefahren.

Zusammenfassend: Das war sicher das Highlight der Saison, vier Stunden Flug, 70km Dreieck, immer unter Null Grad und eine tolle Hochgebirgskulisse. Saaagenhaft.

Die Details (die Zahlen bezeichnen die Positionen auf der Reliefkarte, blau=Tal, rot=Bergrücken, grau=fehlende Höhendaten):

Gaanz warm anziehen: Ski-Unterhose, Hose, Overall, Handschuhe. Bei blauem Himmel Auffahrt aufs Neunerköpfle. Dort kaum Wind. Angesagt sind 15kmh NO. Oliver geht mit mir die Strecke durch und erläutert Talwinde/Taktik. Die Strecke ist eine seiner Hausstrecken. Den Tag schätzt er als mittelmäßig ein. Zwar schwachwindig, aber wegen Schneelage, mässiger Basishöhe und drohendem Cirren-Aufzug nicht toll.
Bald zeigen sich erste Wolkenfetzen, dann Wolken. Also Marsch zum Oststart. Dort schwacher Wind, zwei-drei Piloten saufen ab, in der Luft ist keiner. Schließlich dreht der schwache Wind auf West. Marsch zum Weststart. Dort seht der schwache Wind gut an, aber eine grosse Abschattung liegt im Tal. Oliver will starten weil später Cirren abschatten sollen. Er meint, die Chance abzusaufen liegt bei 50%.
Start
Also den Tandem-Schirm ausgelegt (11:30), ins Gurtzeug, eingehängt. Oli meint: Ich zähl bis 3 dann los, 1 2 3 und Start. Wir halten uns nah ans Gelände, es trägt so gerade, rum zum Nord-Osthang. Ein paar Schlenker, es gibt immer mal eine Blase und langsam kommen wir auf 200m über Start. Basis bei etwa 2500m. Da will Oli hin.

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Oli sieht einen aufsteigenden Wolkenfetzen und meint, „das probieren wir mal“. Tatsächlich steht dort der erste (schwache) Bart des Tages. Basis wird erreicht. Gleitflug zum nächsten, bewaldeten Grat.

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Wir kommen 300m drüber an und habe gleich eine Wolke die zieht. Wieder Basis und Gleitflug zum Lechtal.

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Ein langer Grat entlang des Lechtals. Wir fliegen noch etwas nach Norden, um das Dreieck auszudehnen. Der Grat trägt gut und ruhig.
Dann den Grat talaufwärts zu

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Hier wird unter der letzten Wolke bequem bis an die Wolkenbasis aufgedreht (3000m). Grund: Der nächste Talsprung ist weit, und der Wind im Lechtal verursacht hoch reichende Lees.

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Tatsächlich kommen wir etwa 200m unter Gipfel an dieser Ecke an. Als wir die talseitige Bergflanke entlang fliegen haben wir etwa 60kmh drauf und sind noch 1800m hoch. Oli biegt in die Südflanke ein und es wird turbulent. Sehr konzentriert sucht er den Bart und in engen Kreisen geht es wieder über Gipfel. Ich glaube, wir haben dabei einen kurzen Frontklapper kassiert. Oli meint, verglichen mit seinem Hochleister läßt sich der 1-2er Tandem total entspannt fliegen.
Über Gipfel Richtung Wolke wird es ruhiger. Wir beobachten 2 Adler in etwa 100m Entfernung beim Aufdrehen.

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Mit guter Höhe kommen wir am nächsten Grat an und fliegen ihn mit wenigen Kreisen entlang. Alles ist hier Felsen und Schnee (und Gipfelkreuze).

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Einmal Basis gemacht.

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Hier beginnt ein Abschnitt, in dem es selten Thermik hat, meint Oli. Das ist schlecht, denn Aussenlandeplätze gibt es im südlichen Tal auch nicht. Im Norden einen, aber mit langem Fussmarsch…
Wir müssen genügend Höhe haben, um durch einen Sattel (9) ins Oberstdorfer Tal zu rutschen. Bei Null Wind sollte Gipfelhöhe reichen, wir nehmen alles schwache Steigen mit.
Im Gleitflug auf den Sattel ändert sich die Peilung nicht, wir machen etwa 42kmh.

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Am Ende rutschen wir mit 100m Höhe drüber. Oli meint, er ist da schon top gelandet. Eine schöne sattelförmige Fläche, etwa 80m breit und ideal abfallend für einen Start. Nicht zu sehen, wie man da zu Fuss hinkommen würde…

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Hinter dem Sattel schließt sich rechts eine glatte, fast senkrechte Felswand an, die in einem rechten Winkel nach Norden abbiegt. So wie die Ecke einer Pyramide. Oli fliegt zu der Ecke und dann Achten um die Ecke herum. Es steigt langsam und sanft. Wieder über Grat fliegen wir Richtung Talausgang.

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Hier geht es, nach kurzem Warten am Schattberg, an die Basis (2700m) um dann auf den Kamm südlich von Oberstdorf zu kommen. Bei ungünstigem Wind würde man erst den Sprung nach Süden machen und dann nach Westen.

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Aber die Wolken stehen gut und wir kommen locker drüben an. Der Talwind schiebt hier immer hoch, es geht gemütlich nach oben und wir folgen dem Kamm. Hier sehen wir auch zwei starre Drachen und einen Segelflieger. Sonst waren wir immer allein in der Luft.

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Am südlichen Ende des Grates machen wir nochmal Höhe um zur Mädelesgabel zu fliegen. Hier checken wir mit dem GPS auch nochmal den Wind (gegen den wir ja zurück müssen).

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Der Talabschluss ist eine mächtige, senkrechte Felsenbarierre, an dessen östlicher Ecke zwei Türme eng beieinander stehen (Mädelesgabel). Wir sind etwas über der Barriere und können soaren. Dann fliegen wir zwischen den Türmen durch und zurück Richtung Norden. Es ist für mich hier sauschwer eine Höhe oder den Abstand zu den Felsen zu schätzen, weil mir der Maßstab fehlt.
Den Grat entlang nach Norden geht’s problemlos und bei (12) wird der Talsprung mit Basishöhe angegangen.

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Richtung Norden geht es merklich schlechter vorwärts (30kmh full speed). Wir kommen etwa auf Mittelstationshöhe der Nebelhornbahn am Schattberg an (siehe auch aktuelles DHV Info 140). Aber als wir uns auf die Nordseite gemogelt haben, können wir soaren. Es geht eine Weile nur am Hang, ein Suchkreis nach draussen bringt nix. Schliesslich bildet sich aber die nächste Wolke und wir kommen bei (11) wieder an der Basis (2700m) an. Ab zum Nebelhorn.

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Hier ist nun eine Entscheidung fällig: Links rum oder rechts rum nach Norden? Rechts ist der Grat höher und ein Talsprung weniger. Die Wolken sehen etwa gleich aus (schwer zu schätzen unter der Basis!). Wir fliegen los, merken aber schnell, dass links rum doch besser gewesen wäre. Es steigt nicht, und wir soaren uns am Grat entlang Richtung Nord. Sinken erheblich.

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Hier kommen wir endlich an eine Felsnase, die im Talwind steht. Es geht langsam wieder hoch. Als wir eine Wolke über dem Hochtal sehen fliegen wir ab nach 18

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Die Wolke zieht. Erleichterung macht sich breit. Wolke für Wolke tasten wir uns über das Tal hinaus, bis der Sprung zu 19 eine Formsache wird.

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Hier steht ein schöner, kräftiger Leebart. Oli nimmt ihn ausnahmsweise um Zeit zu sparen (die hohen Wolken fangen an die Thermik zu schwächen). Sonst bevorzugt er einen Hang weiter südlich, der besser im Talwind steht. Der zieht etwas schwächer, ist aber ruhiger zu fliegen.
Tatsächlich schaukelt es uns ordentlich nach oben.

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Vor diesem Gipfel bekommen wir nochmal kräftiges Saufen. Der NO-Wind sorgt für ein Lee. Eine leichte Kurskorrektur nach Osten beendet das Sinken, und wir passieren das Gipfelkreuz auf gleicher Höhe. Nun sind wir schon im sicheren Endanflug auf Tannheim. Einen der Bärte nutze ich, um auch mal mit dem Tandem zu kurbeln. Sehr ungewohnt: Das Ding pendelt stark, obwohl die Wendigkeit des Schirms nicht schlecht ist. Ausserdem ist der Winkel zur Bremse als Passagier sehr ungewohnt.

Landung
Den riesigen Landeplatz verfehlen wir um 10m. Uups, das war doch etwas mehr Wind/Sinken. Aber weich gelandet in ungemähter Wiese. Ich merke, dass ich nasse Füsse habe: Durch die Kälte im Flug ist das Wasser innen an der Sohle kondensiert. Beim Auftreten sind die Socken dann nass.
Wir hüpfen uns erstmal warm und Oli erzählt den Locals, wo wir waren. Deren Augen werden immer grösser…